Wenn sich am 3. Dezember 2016 in Luzern nach Abschluss der Ministerratskonferenz die für Raumfahrt politisch Verantwortlichen der Mitgliedsländer der europäischen Raumfahrtagentur ESA zum abschließenden Gruppenbild versammeln, beginnt der mediale Marathon in den Ländern, die dort gefassten Beschlüsse als Verhandlungserfolge zu verkaufen.
Im Vordergrund werden dabei voraussichtlich, wie schon seit langem üblich, die großen Programme stehen: Wissenschaftsmissionen, Trägerraketen, Raumstationen – Themen eben, die sich der Mehrheit der Leser und Zuschauer, der Wähler, besonders gut nahebringen lassen. Dabei geht es zwangsläufig auch um viel Geld – Geld, welches die Steuerzahler aufbringen müssen. Die staatliche Komplettfinanzierung aller Raumfahrtaktivitäten war in der langen Serie vorangegangener ESA-Ministerratskonferenzen, die alle zwei bis vier Jahre stattfinden, ein eherner Grundsatz und selbstverständliche Geschäftsgrundlage: Ohne Steuergelder keine Raumfahrt.
Doch seit kurzem könnten sich in der Raumfahrt neue, zusätzliche Geschäftsmodelle ergeben. Das Stichwort lautet: New Space. Im Kern bedeutet es, dass immer mehr von vornherein kommerziell ausgelegte Raumfahrtaktivitäten entstehen, weil private Investoren den Weltraum als Wirtschaftsraum entdecken. Ob mit Erdbeobachtungssatelliten, mit robotischen oder astronautischen Systemen, ob Spacemining, Megakonstellationen für Telekommunikation und Internet oder kommerzielle Deep Space Missionen – der Phantasie sind auch im New Space keine Grenzen gesetzt. Für die stets von Geldsorgen geplagte staatliche Raumfahrt müsste New Space daher eine hochwillkommene Entwicklung sein. Allerdings gelten bei New Space grundlegend andere Bedingungen, unter denen Raumfahrt erst zu einem wirtschaftlich einsatzfähigen Instrument wird:
– Serienfertigung tritt an die Stelle des Baus von Unikaten
– Statt langwieriger Entwicklung neuer Technologie mit bis zum Einsatz dann zwangsläufig veralteter Software, bestimmt die neueste verfügbare Software Design, Funktion und Steuerung neuer Raumfahrt-Geräte
– Die Bedingung gleichermaßen terrestrischer wie raumfahrttechnischer Anwendbarkeit neuer Technologien steigert deren Effizienz auf ein auch im kommerziellen Kontext vertretbares finanzielles Niveau.
PARALLEL zu den wichtigen, teils regulierten nationalen oder kontinentalen Staatsmärkten (manch einer spricht von „Old Space“) entsteht so ein mehr oder weniger freier globaler Markt von Angebot und Nachfrage. Damit ist New Space eine Entwicklung, die auch der staatlich finanzierten Raumfahrt indirekt Entlastung durch Steuereinnahmen aus kommerziellen Märkten und technischen Synergieeffekten schaffen wird. Neue Handlungsspielräume für den Staat, für die Raumfahrtindustrie und clevere Unternehmer auf der Anwenderseite eröffnen sich neue Perspektiven.
Im Bereich der Raumfahrtindustrie betrifft dies in erster Näherung vor allem jene Unternehmen, die an die grundlegenden Bedingungen von New Space bereits heute am besten angepasst sind: Die Zulieferer, Softwarespezialisten und Komponentenhersteller der großen Hauptauftragnehmer nationaler und supranationaler Staatsprogramme – den Mittelstand der Raumfahrtindustrie.
Im Bereich der ESA-Programme erhalten sie die Möglichkeit einer Förderung ihrer Kompetenzen durch die speziellen Technologieprogramme „ARTES3/4/5/20“ und „GSTP“. Wie allerdings die Akronyme selbst – und ihr relativ komplizierter administrativer und technischer Hintergrund erst recht – schon nahelegen, handelt es sich leider eben nicht um jene Projekte, die sich als populäre Fußnote zum Gruppenbild der ESA-Minister eignen. Daher besteht derzeit eine gewisse Besorgnis, dass gerade diese Projekte – wie möglicherweise auch entsprechende Teile des nationalen Programms – bei der kommenden Ratstagung der ESA angesichts immenser Kosten(-steigerungen) konventioneller Großprojekte in den Hintergrund geraten. Und das, obwohl nur in der Ertüchtigung der Industrie und insbesondere des flexiblen Mittelstandes für den neuen kommerziellen Raumfahrtmarkt die großen Chancen liegen, langfristig Steuereinnahmen aus kommerziellem Geschäft zu erwirken und damit auch in Zukunft gezielt staatliche Großprojekte mit Steuergeldern zu stemmen. Ohne eine signifikante Unterstützung durch diese Technologieprogramme der ESA, die nebenbei bemerkt auf der letzten großen Ministerratskonferenz 2012 bereits stark gekürzt wurden, ist in der Raumfahrt auf Grund dieser Langfristigkeit eine Technologieentwicklung von der Idee bis zur Flugreife nicht zu stemmen – weder für Konzerne, noch für KMU.
Aus diesem Grunde ändert sich derzeit das Bild des politischen Klinkenputzens, wie es sich sonst vor jeder ESA-Ministerkonferenz darstellt. Denn nach dem Zusammenschluss der unabhängigen Raumfahrt-KMU Deutschlands (www.best-of-space.de) ist jetzt auch der Mittelstand gegenüber der Politik in eigener Sache sprechfähig. Den Auftakt bildete am 19. September 2016 ein langes Gespräch von Dr. Ernst Pfeiffer und Holger Sdunnus, zu dem Bundesforschungsminister a.D. Prof. Riesenhuber und der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Dr. Joachim Pfeiffer die Sprecher des Mittelstandes ins Jacob-Kaiser-Haus des Deutschen Bundestages eingeladen hatten. Im Mittelpunkt stand das Verstehen der Situation der deutschen Raumfahrt-KMU „aus erster Hand“ und die Frage nach einer angemessenen Erhöhung des deutschen ARTES- und GSTP-Beitrages zum ESA Budget. Weiterhin wurde darüber diskutiert, ob von deutscher Seite mit der benötigten und seitens KMU empfohlenen Erhöhung der deutschen Zeichnung für dieses ESA-Technologieprogramm um 35 Mio. Euro pro Jahr trotz der finanziellen Engpässe bei den populären Großprojekten, die ihrerseits Milliardenbeträge beanspruchen, gerechnet werden könne. Insbesondere konnte im Dialog deutlich gemacht werden, dass sich nur so in freien Ausschreibungen eine entsprechende, dringend benötigte Erhöhung von ESA-Entwicklungsaufträgen an die mehr als 40 unabhängigen deutschen Mittelständler um insgesamt zehn Millionen Euro realisieren lässt.
Die Sorgen des Mittelstandes trafen bei beiden Experten des Bundestages auf Gehör und Verständnis; ebenso wurde in der Zwischenzeit aus regem Briefverkehr mit den ministerialen Spitzen der Administration in Berlin deutlich, dass auch hier die Botschaft des Mittelstandes auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Noch steht eine Serie weiterer Gespräche in Berlin, Bonn und auch Brüssel an, bis zur Ministerratstagung bleiben dafür noch 60 Tage.
Eines werden sie zwar nicht ändern: Die Schlagzeilen zum Gruppenbild der ESA-Minister. Aber vielleicht dessen Hintergrund: das, was 2016 besonders wichtig ist – Beschlüsse zu Vorteil und Ertüchtigung auch des Mittelstandes, auf den es jetzt wie nie zuvor in der international hart umkämpften Raumfahrt ankommen wird.
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